DAS PRIVATE
BLEIBT POLITISCH.
DAS PRIVATE
BLEIBT POLITISCH.
DAS PRIVATE
BLEIBT POLITISCH.
Redebeitrag auf einer Demo am 16.5.2020 in Leipzig
Unseren Redebeitrag könnt ihr auch hier nachhören (ab 51:21 min):
Mehr Infos zum Aktionstag: Das Private bleibt politisch – Für ein Ende der Gewalt. findet ihr hier.
Corona ist das zentrale Thema. Wie oft werden Gespräche immer wieder davon vereinnahmt, wie sehr haben sich unser aller Alltag, unsere Verhaltensweisen, unsere Beziehungsweisen gewandelt? Wir alle sind in irgendeiner Form von der Pandemie betroffen. Wir haben Angst, wir haben Mut, wir sind verzweifelt, wir haben Hoffnung, wir fühlen uns vereinzelt, wir sind füreinander da. Und wir sind wütend! Die Pandemie macht gesellschaftliche Widersprüche offensichtlich und verstärkt strukturelle Ungleichheiten. Sexistische Zustände und die patriarchale Gesellschaftsordnung sind spürbarer denn je. Oftmals schlecht bezahlte oder gänzlich unsichtbare Pflege- und Sorgearbeit begünstigt die Herabsetzung von Frauen, nichtbinären und trans Personen. Weiterhin wird misogyne, homophobe und transfeindliche Gewalt verharmlost und toleriert. Ursachen dieser Gewalt sind ungleiche Machtverhältnisse und patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit. Auch sexualisierte Gewalt ist Teil einer stetigen Aufrechterhaltung von patriarchalen Kontrollmechanismen und war schon vor Corona überall gesellschaftliches Problem. Vergewaltigung ist nicht einfach ein individuelles Ereignis. Vergewaltigung, und die Angst davor erzeugt und verstärkt gewaltsame Geschlechterverhältnisse.
Während ich also lernte mich als Kind alleine, draußen, im Dunkeln vor einer Vergewaltigung zu fürchten, war ich zeitgleich über mehrere Jahre sexualisierter Gewalt durch einen Verwandten ausgesetzt. Gewarnt wurde ich von meinem sozialen Umfeld, durch Filme und Geschichten und auch durch Nachrichten, Nachts bloß keine dunklen Strecken alleine laufen. Trampen ist gefährlich und fremde Männern die mich ansprechen immer potentielle Täter, beim Tanzen sollte ich immer einen Blick auf mein Glas haben. In der ständigen Erwartung eines Übergriffes sollte ich mich am besten immer unauffällig verhalten, den Schlüssel zwischen die Finger geklemmt in der Defensive. Gewarnt wurde ich vor dem Fremden, aber niemals hat mich jemand vor meinem Großvater gewarnt. 80% sexualisierter Gewalt passiert aber nun Mal im Nahumfeld. In fest verankerten und meist vereinfachten Rollenbildern werden Täter schnell zur gesellschaftlichen Projektion für alles Böse. Die Überlebenden werden dabei in die Rolle des fragilen, unmündigen und ewig zerstörten Opfers verwiesen. Wird diese Rolle entsprechend der gesellschaftlichen Erwartung erfüllt, wird Überlebenden leider immer noch öfter geglaubt. Weicht das Verhalten jedoch vom erwarteten Opferbild ab, wird die Gewalterfahrung oft abgesprochen oder verharmlost. Wer als „vergewaltigbar“ gilt, wem geglaubt wird, hat viel mit rassistischen Strukturen und einem Klassendenken zu tun. Und mit der Tatsache, ob eine Person Kind oder Erwachsen ist oder ob die Person als „Frau“ durchgeht: Zum Beispiel hat eine weiße Cis-Frau aus der Mittelklasse historisch und auch gegenwärtig eine sichtbarere Position als Trans-/Inter-Personen, nicht-binäre Menschen, Menschen of Colour oder Menschen mit Be-Hinderung. Und auch sexualisierte Gewalt gegenüber Cis-Männern wird gesellschaftlich meist ausgeblendet. Damit wollen wir aber nicht sagen, dass Gewalt gegen weiße cis-Frauen ausreichend Aufmerksamkeit bekommen würde, und als gesellschaftliches Problem anerkannt sei. Sexualisierte Gewalt ist ein patriarchales gesamtgesellschaftliches Problem.
Wir begreifen diese gesellschaftlichen Bilder als Teil unserer Gewalterfahrung. Wie mächtig diese sind, zeigt sich auch darin wie schwer es uns fällt, auch in feministischen und queeren Kreisen, öffentlich und kollektiv über sexualisierte Gewalt bzw. Vergewaltigung zu sprechen.Wenn ich meine Erfahrung thematisieren will fehlen mir oft die richtigen Worte.
Wie oft wollte ich niemanden mit meiner Erfahrung belasten?Wie oft wollte ich mir nicht den Raum nehmen zu sprechen, weil es doch eigentlich nichts zu suchen hat in kollektiven Aushandlungen? Wie oft fühlte ich mich in die Ecke gedrängt und unglaubwürdig, weil ich versuche selbstbestimmt und stark über meine Vergewaltigungserfahrung zu sprechen?Wie oft zweifele ich dann an mir selbst und denke ich müsste eine andere Rolle, eine fragilere Rolle, einnehmen? Seit meiner Kindheit wusste ich, dass ich ein Geheimnis habe, was sonst keine*r wusste, erst seit ich Anfang 20 war, wusste ich, dass mein Geheimnis sexualisierte Gewalt heißt. Warum gibt es so wenig Worte, für so viel alltägliche Gewalt? Wie oft habe ich Angst nicht mehr als die Person wahrgenommen zu werden, die ich bin?
Wie oft habe ich Angst Menschen würden mir jegliche Stärke absprechen und mich für schwach und verletzlich halten?Wie oft hat mich die besondere Wertschätzung meiner Stärke in dem Umgang mit meiner Vergewaltigung angewidert? Wie oft wollte oder will ich auch einfach mal schwach sein können, Zusammenbrechen dürfen ohne immer gleich parallel einen Kampf gegen Stigmatisierung und Festgefahrene „Opferbilder“ führen zu müssen?Wie oft muss ich noch diese Zerrissenheit spüren, zwischen der Sorge Menschen mit „meiner Geschichte zu überfordern“ und mein Umfeld beschützen müssen und der Sorge, dass wenn Menschen mehr von meinen Gewalterfahrungen erfahren sie es abtun, weil ich ja gar nicht „vergewaltigt“ wurde. Wie oft habe ich nun schon mein Betroffen sein von sexualisierter Gewalt sichtbar gemacht. Und immer, immer wieder spüre ich in neuen Situationen das Tabu was über diesem Thema schwebt – diese Schwere im Brustkorb, der Hals der sich zu schnürt, die Taubheit in Armen und Beinen. Und sich in diesen Gefühlen, dann noch anhören zu dürfen „was, in linken Kreisen hast du den Eindruck sexualisierte Gewalt ist noch ein Tabuthema?“ Wann darf ich endlich stark oder schwach sein, weinen oder mich schämen, wütend schreien oder einfach nur Schweigen, ohne das Gefühl gegeben zu bekommen es wirke sich auf mein Erlebtes und die Wahrnehmung dessen durch andere aus? Es braucht eine politische Auseinandersetzung, damit betroffene Personen sich Räume erkämpfen, Sichtbarkeit und Komplexität schaffen, ein selbstbestimmtes Sprechen und eine selbstbestimmte Sprechposition finden können, in der wir nicht irgendwelchen Vorstellungen von Überlebenden entsprechen müssen. Und zugleich muss niemand auch nur irgendwo drüber sprechen der*die Gewalt ausgesetzt war – wir wollen keine neuen gewaltvollen Normen schaffen. Sexualisierte Gewalt wird leider immer noch viel zu oft individualisiert gedacht und verhandelt. Die Verantwortung wird auf den Einzelfall verschoben und die strukturellen Mechanismen werden nicht betrachtet – in allen „Teilen der Gesellschaft“Der Verdrängung ins „private“ ist gerade in Zeiten von Corona, wichtig etwas entgegenzusetzten. Wir fordern gemeinsam Verantwortung füreinander zu übernehmen und betroffene Personen zu unterstützen.Wir fordern, eine Sichtbarkeit für unterschiedliche Betroffenheiten und dahingehend einen Ausbau von diskriminierungssensiblen und niedrigschwelligen Schutzunterkünften und Anlaufstellen. Wir fordern Informationen in vielen Sprachen sichtbar zu machen und Menschen Beratungsangebote in ihrer Erstsprache zu ermöglichen.
Wir fordern sexualisierte Gewalt als strukturelles Problem zu begreifen. Damit sind alle Menschen dazu angehalten, ihr eigenes Gewaltpotenzial, ihren Anteil an patriarchaler Gewalt, zu reflektieren.Wir fordern auch Menschen der sogenannten „linken Szene“ dazu auf, sich verstärkt mit s. G. auseinanderzusetzen, nicht so tun als gebe es „das nur bei anderen“.Wir fordern eine Auseinandersetzung mit Sprache und dem Sprechen über sexualisierte Gewalt, über Betroffene und über Gewaltausübende Menschen – ohne erneute Gewalt durch Vergewaltigungsmythen und gesellschaftlichen Diskriminierungsformen, wie Klassismus, Ableismus und Rassismus zu wiederholen.
Wir fordern alle Menschen auf sich mit ihren Privilegien und verinnerlichten Vorurteilen auseinanderzusetzen.Wir fordern strukturelle, politische und soziale Veränderungen und damit einen Kampf gegen die patriarchale Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt überhaupt erst möglich macht. Deswegen lasst uns solidarisch miteinander sein, lasst uns gegenseitig zuhören und lasst uns miteinander reden. Lasst uns zusammen weinen, lasst uns zusammen lachen, lasst uns zusammen schreien, lasst uns zusammen schweigen, lasst uns zusammen kämpfen, lasst uns zusammen wütend sein!