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Redebeitrag zum IDAHIT* am 17.05.2023  

in Wurzen                

- gegen die transfeindliche Instrumentalisierung sexualisierter Gewalt   
in der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz        

Wir sind von sichtbar und selbstbestimmt, einer Gruppen von Betroffenen von sG/V aus Leipzig. 

Heute sind wir hier, weil wir als Betroffene von sexualisierter Gewalt und auch als queere & feministische Menschen wütend sind. Wütend darauf, wie oft queere Menschen in die Täter- oder Täter:innen Ecke gestellt werden. Wütend darauf, wie in der aktuellen Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz (welches das Transsexuellengesetz ablösen soll) genau dieser Täter-Vorwurf ständig in den Raum gestellt wird, nur um dem ganzen Steine in den Weg zu legen.

Als Betroffene wissen wir nur zu gut: über sexualisierte Gewalt & Vergewaltigung zu sprechen ist schwer. Das Thema ist so aufgeladen mit Mythen und stereotypen Bildern: wer überhaupt von sexualisierter Gewalt betroffen ist, wer als Täter infrage kommt (hier haben wir jetzt mit Absicht nicht „Täter:in“ gesagt). Wo sexualisierte Gewalt stattfindet, wem geglaubt wird, und wie wir dann als Überlebende zu reagieren haben. Diese einseitigen Erzählungen werden uns so oft eingetrichtert, dass wir sie auch ein Stück weit verinnerlichen. Und ganz häufig sind sie mit anderen Diskriminierungs- und Gewaltformen verbunden. Zum Beispiel, wenn in Medien und Familienumfeld immer vor dem „Fremdtäter“ gewarnt wird, oft verbunden mit einer rassistischen Argumentation; anstatt anzusprechen, wie oft sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung in deutschen, heterosexuellen Mittelklasse-Familien vorkommt. 

Diese Bilder und Mythen machen es Betroffenen verdammt schwer selbstbestimmt zu Sprechen. Weil wir oft vor einer Wand aus Falschannahmen, Tabus und Schweigen stehen. Es wird geschwiegen aus - vermeintlicher? - Rücksichtnahme, aus fehlendem Wissen, aus Unsicherheit & Angst, aus Desinteresse. Oder weil etwas nicht in das eigene, „herkömmliche“ Bild von sexualisierter Gewalt passt. 

Das Sprechen (oder Gebärden) über sexualisierte Gewalt ist etwas, was wir alle mühsam erlernen müssen, ob Betroffen oder nicht. Wenn wir nicht lernen über dieses komplexe Thema zu sprechen (oder zu gebärden), können wir auch nicht widersprechen (oder gegengebärden), wenn – wie so oft – Erzählungen über sexualisierte Gewalt genutzt werden, um irgendeine rassistische oder transfeindliche Scheiße zu verbreiten.

Seit mehreren Monaten ist wieder genauso eine Debatte in Gang zum Thema Selbstbestimmungsgesetz. Um den „Sorgen“ der „Kritiker:innen“ (will heißen: Transfeinde) Rechnung zu tragen, hat das Bundesjustizministerium im Gesetzesentwurf jetzt explizit benannt, dass „Bestimmungen zum Hausrecht unberührt bleiben“. Dahinter steht die (transfeindliche!) Vorstellung, dass wenn trans Frauen Zugang zu Frauenräumen wie Frauen-Saunen, Toiletten etc. bekommen, dies dann potentiell kein Schutzraum mehr für Cis-Frauen wäre, dass „Männer mit geändertem Geschlechtseintrag“ sich Zugang zu solchen Räumen verschaffen könnten um sich übergriffig zu verhalten. Wenn jetzt also vom Hausrecht die Rede ist, dann soll das heißen, dass Trans-Frauen im Zweifelsfall der Zugang verweigert werden kann. 
Trans-Frauen wird damit 1) ihr Frausein abgesprochen, 2) werden sie als übergriffig dargestellt und 3) total ignoriert, dass sie (und eben nicht unbedingt die Cis-Gesellschaft) ja vielleicht ein besonderes Schutzbedürfnis haben könnten.

Wir wollen diese perfide, transfeindliche Argumentation hier gar nicht weiter ausbreiten – aber es ist Teil einer ganz alten Masche. Queere und besonders trans Menschen wurden schon so oft als „abnormal“ dargestellt, als "Freaks" und "Monster". Als psychisch kranke und übersexualisierte Menschen, als Täter:innen. Beispielsweise wenn in Debatten um sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche schwule Männer in einen Generalverdacht kommen, übergriffig gegenüber Jungs zu sein. Das ist nicht nur queerfeindlicher Bullshit, sondern verkürzt und verdreht auch das Thema und schadet somit den Betroffenen.
Und auch die Arguemntation hinter der Hausrechtsklausel hat eine lange Geschichte, die immer und immer wieder in Filmen, Büchern oder Debatten wiederholt wurde.

Trans Frauen sind genauso wie alle anderen Frauen Zielscheibe von sexualisierter oder anderer Gewalt, und als trans Personen nochmal extra betroffen. Die ganze Debatte ist also eine totale Täter-Opfer-Verkehrung. Klar, auch Frauen und Queers können Täter:innen sein, das muss ernst genommen und besprechbar werden. Aber Erzählungen über trans Frauen als gewaltausübend werden gesellschaftlich völlig überbelichtet, währen gleichzeitig Gewalt gegen trans Frauen oft komplett unsichtbar bleibt. Damit wird deutlich, wessen Gewalterfahrung gesehen wird und als glaubhaft wahrgenommen wird (nämlich das Erleben von Cis-Frauen), und wessen nicht (das Erleben von Trans-Frauen). 

Für uns ist ganz klar: sexualisierte Gewalt darf nicht instrumentalisiert werden um Gewalt und  Ausgrenzung zu rechtfertigen! Nicht gegen Menschen, die Rassismus erleben, nicht gegen queere  Menschen, nicht gegen Trans-Menschen. 

Und deshalb wünschen wir uns:

  1.  ein anderes Reden & Thematisieren von sexualisierter Gewalt und ein aktives Reflektieren von tief verankerten Bildern und Mythen, damit wir gemeinsam handlungsfähig werden, um transfeindlichen und rassistischen Erzählungen etwas entgegensetzen zu können. Denn wir wollen und können nicht zuzulassen, dass sexualisierte Gewalt, für beschissene politische Ziele instrumentalisiert wird

  2.  Sichtbarkeit schaffen für alle Betroffenen – ganz besonders für diejenigen, die in unserer Gesellschaft marginalisiert werden

  3. Täter-Opfer-Umkehr entlarven: anerkennen, dass v.a. Transfrauen keine Täter:innen sind, sondern von sexualisierter Gewalt betroffen sind und auch entsprechend politisch handeln

 Wir fordern:

  • spezifische Programme, Beratungsmöglichkeiten und Schutzorte für Trans-Frauen und Queere Menschen

  • dass jeglicher Bezug auf das Hausrechs aus dem aktuellen Gesetzesentwurf für das Selbstbestimmungsgesetz gestrichen wird

Unser Kampf gegen sexualisierte Gewalt ist auch immer ein Kampf gegen Transfeindlichkeit, gegen weiße Vorherrschaft, gegen normierte Körper- und Sexualvorstellungen…. und umgekehrt. In dem Sinne: lasst uns Kämpfe gemeinsam denken und gemeinsam führen – wir wünschen euch einen kraftvollen und wütenden IDAHIT* 2023.

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